Freitag, 12. März 2010

Anton Pawlowitsch Tschechow


Anton Pawlowitsch Tschechow war ein bedeutender russischer Schriftsteller und Dramaturg.

Tschechow war ein genialer Erzähler. Als ausgezeichneter Menschenkenner, hatte er ein besonderes Talent dafür, humorvoll ernste Dinge des Lebens zu beschreiben und war ein Meister des Unausgesprochen. Mit seinen Kurzgeschichten bringt er die Leser heute noch zum Lachen, und seine seriösen Erzählungen animieren zum Nachdenken über die Rolle des Menschen in dieser Welt.

Lebenslustig und witzig, hatte Tschechow einen scharfen Sinn für Humor und konnte große Gesellschaften mühelos unterhalten. Und gleichzeitig war er einsam und ernst. Er glaubte, dass nur jemand, der viel und hart arbeitet und so für das Wohl anderer sorgt, ein anständiger Mensch sein kann.

Auf der Bühne schafft Tschechow eine sehr emotionale spannende Stimmung, die eine kommende Veränderung vorahnen lässt. Es gibt nicht viel "Action". Die Spannung wird hauptsächlich durch Dialoge und Emotionen der Charaktere erzeugt.

Anton Tschechow wurde am 29. Januar 1860 in Taganrog geboren. Zusammen mit fünf Geschwistern wuchs er in der Familie eines Kaufmanns auf und genoss eine strenge, aber sehr gute Erziehung. Wegen schlecht laufender Geschäfte war die Familie jedoch gezwungen Taganrog zu verlassen, zog nach Moskau und lebte dort eine Weile in sehr ärmlichen Verhältnissen.

1879 begann Tschechow ein Studium an der medizinischen Fakultät der Moskauer Staatsuniversität, das er mit dem Schreiben von komischen Kurzgeschichten und der Veröffentlichung in diversen Zeitschriften finanzieren konnte. Nach dem Studium war er als Arzt in Woskresensk (heute Stadt Istra) tätig, arbeitete in einem Krankenhaus und schrieb fleißig weiter.

Seit 1886 veröffentlichte Tschechow regelmäßig seine Kurzgeschichten in der renommierten Zeitung "Nowoje Wremja" und wurde immer populärer. Die Resonanz auf seine 1886/1887 veröffentlichen Sammelwerke "Bunte Erzählungen", "Unschuldige Gespräche" und "In der Dämmerung" war sehr positiv. Ermutigt durch Unterstützung bekannter Literaturkritiker und Autoren, widmete sichTschechow immer mehr dem Schreiben und betrachtete es nicht mehr als Nebenverdienst, sondern als seine Berufung.

Da er sich schon als Kind für das Theater interessiert hatte, schrieb er nun auch Bühnenstücke. 1887 spielte ein beliebtes Moskauer Theater zum ersten Mal sein Drama "Iwanow". Zwar war Resonanz auf die Aufführung gespalten, im Kern jedoch eher positiv. Jedenfalls redete man über den jungen Autor und seine innovativen Ideen.

Ein wichtiger Meilenstein im Leben von Anton Tschechow war seine Reise auf die Insel Sachalin im Jahre 1890. In diese finstere Gegend Russlands wurden Sträflinge und politische Gefangene verbannt. Während seines dreimonatigen Aufenthalts auf Sachalin hat Tschechow den Alltag der Einwohner und Sträflinge hautnah erlebt und dokumentiert. Er besuchte Gefängnisse, arbeitete als Arzt, Forscher, Soziologe und führte sogar eine Volkszählung durch. Seine Eindrücke verarbeitete er in seinem Buch "Insel Sachalin".

Anfang der 90er Jahre gehörte Tschechow zu den meistgelesenen Autoren Russland. Seine Erzählungen erschienen regelmäßig in guten Zeitschriften und wurden als Sammelwerke mehrmals verlegt. Seine Theaterstücke liefen auf den besten Bühnen von Moskau und St. Petersburg.

1892 kaufte Tschechow ein Haus in Melichowo, einem Dorf unweit von Moskau. Hier lebte er zusammen mit seinen Eltern und Geschwistern. In Melichowo schrieb Tschechow einige seiner bekannten Werke, darunter die Dramen "Die Möwe", "Onkel Wanja" sowie Erzählungen "Der schwarze Mönch", "Krankensaal Nr. 6", "Der Mann im Futteral", "Ein flatterhaftes Wesen " und andere.

In diesen Jahren war Tschechow nicht nur als Schriftsteller produktiv, sondern engagierte sich auch sozial. Er errichtete Schulen für Bauernkinder, baute einen Feuerwehrpunkt, beteiligte sich am Straßenbau, organisierte Baumpflanzaktionen, eröffnete eine Arztpraxis, in der er kostenlos die Einwohner anliegender Dörfer behandelte, und kämpfte gegen die Cholera-Epidemie von 1892-1893.

Anton Tschechow war überhaupt sehr aktiv und konnte nicht untätig herumsitzen. Er fuhr öfter nach Moskau und St. Petersburg, traf sich mit Schriftstellern und Künstlern, ging ins Theater oder nahm an offiziellen Veranstaltungen teil. 1895 traf Tschechow Leo Tolstoi in Jasnaja Poljana, der ihm aus seinem Roman "Auferstehung" vorlas. Seitdem blieben die beiden Schriftsteller im Kontakt. Später besuchte Tolstoi den kranken Tschechow im Krankenhaus und in Jalta.

Denn bereits seit seiner Jugend litt Tschechow an Tuberkulose. Im Frühjahr 1897 verschlechterte sich sein Zustand so sehr, dass er mit einer inneren Blutung in ein Krankenhaus in Moskau eingeliefert wurde. Auf dringenden Rat der Ärzte fuhr er in den Süden und blieb eine Weile in Nizza. Nach einem kurzen Aufenthalt in Melichowo, ging Tschechow im Winter 1898 nach Jalta auf die Krim. Hier baute er ein Haus und legte einen schönen Garten an. Selbst schwer krank, kümmerte er sich noch intensiv um andere Tuberkulosekranke, die sich keinen Arzt leisten konnten.

Doch immer wieder zog es Tschechow nach Moskau und St. Petersburg in das lebhafte Kultur- und Theaterleben. Hier lernte er 1898 die bekannte Schauspielerin Olga Knipper kennen, die Hauptrollen auch in seinen Theaterstücken spielte. Im Mai 1901 heirateten die beiden.

Wegen seiner Gesundheit lebte Tschechow seit 1901 in Jalta, monatelang getrennt von seiner Frau, die in Moskau immer noch als Schauspielerin Erfolge feierte. Doch ihre Briefe zeigen, dass die beiden sich sehr liebten, gegenseitig respektierten und an der Trennung litten. In Jalta schrieb Tschechow unter anderem das Schauspiel "Drei Schwestern" und sein letztes Drama "Der Kirschgarten".

Im Frühjahr 1904 verschlechterte sich Tschechows Zustand wieder. Begleitet von Olga Knipper fuhr er nach Deutschland zum Heilkurort Badenweiler. Doch die Krankheit war bereits zu sehr fortgeschritten, so dass hier am 15. Juli 1904 starb. Begraben wurde Anton Tschechow in Moskau.

Mittwoch, 3. März 2010

Das Gänseblümchen

Foto: Julia Brey (pixelio)

Foto: Stephan Erdmann (pixelio)

Nun hör einmal zu!

Draußen auf dem Lande, dicht am Weg, lag ein Landhaus; du hast es gewiss selbst einmal gesehen. Davor ist ein kleiner Garten mit Blumen und einem Staketenzaun, der gestrichen ist. Dicht dabei am Graben, mitten in dem schönsten grünen Gras, wuchs ein Gänseblümchen; die Sonne beschien es ebenso warm und schön wie die großen herrlichen Prachtblumen im Garten, und deshalb wuchs es von Stunde zu Stunde. Eines Morgens stand es mit seinen kleinen, leuchtendweißen Blättern, die wie Strahlen rings um die kleine gelbe Sonne in der Mitte sitzen, ganz entfaltet da. Es dachte gar nicht daran, dass es kein Mensch dort im Gras sähe und dass es ein armes, verachtetes Blümchen sei; nein, es war so vergnügt, es wandte sich der warmen Sonne gerade entgegen, sah zu ihr auf und horchte auf die Lerche, die in der Luft sang.

Das Gänseblümchen war so glücklich, als ob es ein großer Festtag wäre, und es war doch nur ein Montag. Alle Kinder waren in der Schule; während sie auf ihren Bänken saßen und etwas lernten, saß es auf seinem kleinen grünen Stiel und lernte auch von der warmen Sonne und allem ringsumher, wie gut Gott ist; und es gefiel ihm recht, dass die kleine Lerche alles, was es in der Stille fühlte, so deutlich und schön sang. Und das Gänseblümchen sah mit einer Art Ehrfurcht zu dem glücklichen Vogel auf, der singen und fliegen konnte, aber es war gar nicht betrübt, dass es das selbst nicht konnte. „Ich sehe und höre ja! „ dachte es, „die Sonne bescheint mich, und der Wind küsst mich! Oh, wie reich bin ich doch beschenkt worden! „

Innerhalb des Staketenzaunes standen so viele steife, vornehme Blumen, je weniger Duft sie hatten, umso mehr prunkten sie. Die Päonien bliesen sich auf, um größer als eine Rose zu sein; aber die Größe allein macht es nicht! Die Tulpen hatten die allerschönsten Farben, und das wussten sie wohl und hielten sich kerzengerade, damit man sie besser sehen möchte. Sie beachteten das Gänseblümchen da draußen gar nicht, aber das sah desto mehr nach ihnen und dachte: „Wie sind sie reich und schön! Ja, zu ihnen fliegt gewiss der prächtige Vogel und besucht sie! Gott sei Dank, dass ich so nahe dabeistehe, so kann ich doch die Pracht auch sehen! „ Und gerade als es das dachte, quivit! da kam die Lerche geflogen, aber nicht zu den Päonien und Tulpen – nein, ins Gras zu dem armen Gänseblümchen. Es erschrak vor lauter Freude, dass es gar nicht wusste, was es denken sollte.

Der kleine Vogel tanzte rings um das Gänseblümchen herum und sang: „Nein, wie weich ist doch das Gras! Und sieh, welch ein süßes Blümchen mit Gold im Herzen und Silber auf dem Kleid! „ Der gelbe Punkt im Gänseblümchen sah ja auch aus wie Gold, und die kleinen Blätter ringsherum waren glänzend weiß.

Wie glücklich das Gänseblümchen war – nein, das kann niemand begreifen! Der Vogel küsste es mit seinem Schnabel, sang ihm vor und flog dann wieder in die blaue Luft hinauf. Es dauerte sicher eine ganze Viertelstunde, bevor das Blümchen sich erholen konnte. Halb verschämt und doch innig erfreut sah es nach den anderen Blumen im Garten. Sie hatten ja die Ehre und Glückseligkeit gesehen, die ihm widerfahren war, sie mussten ja begreifen, welche Freude es war. Aber die Tulpen standen noch einmal so steif wie vorher, und dann waren sie so spitz im Gesicht und so rot, denn sie hatten sich geärgert. Die Päonien waren ganz dickköpfig, buh! es war gut, dass sie nicht sprechen konnten, sonst hätte das Gänseblümchen eine ordentliche Zurechtweisung bekommen. Das arme Blümchen konnte wohl sehen, dass sie nicht bei guter Laune waren, und das tat ihm herzlich leid. Zur selben Zeit kam ein Mädchen mit einem großen scharfen und glänzenden Messer in den Garten; es ging gerade zu den Tulpen und schnitt eine nach der andern ab. „Uh! „ seufzte das Gänseblümchen, „das ist ja schrecklich; nun ist es vorbei mit ihnen! „ Dann ging das Mädchen mit den Tulpen fort. Das Gänseblümchen war froh darüber, dass es draußen im Gras stand und ein kleines, armes Blümchen war. Es fühlte sich so dankbar, und als die Sonne unterging, faltete es seine Blätter, schlief ein und träumte die ganze Nacht von der Sonne und dem kleinen Vogel.

Am nächsten Morgen, als das Blümchen wieder glücklich all seine weißen Blätter wie kleine Arme gegen Luft und Licht ausstreckte, erkannte es die Stimme des Vogels, aber es war so traurig, was er sang. Ja, die arme Lerche hatte guten Grund dazu, sie war gefangen worden und saß nun in einem Bauer, dicht am offenen Fenster. Sie sang davon, frei und glücklich umherzufliegen, sang von dem jungen, grünen Korn auf dem Feld und von der herrlichen Reise, die sie mit ihren Flügeln hoch in die Luft hinauf machen konnte. Der arme Vogel war nicht bei guter Laune, gefangen saß er da im Bauer.

Das Gänseblümchen wollte so gern helfen, aber wie sollte es das anfangen? Ja, das war schwer zu finden. Es vergaß ganz und gar, wie schön alles ringsumher stand, wie warm die Sonne schien und wie prächtig weiß seine Blätter aussahen. Ach, es konnte nur an den gefangenen Vogel denken, für den es gar nichts tun konnte.

Dar kamen zwei kleine Knaben aus dem Garten, der eine trug ein Messer in der Hand, groß und scharf wie das, welches das Mädchen hatte, um die Tulpen abzuschneiden. Sie gingen gerade auf das Gänseblümchen zu, dass gar nicht begreifen konnte, was sie wollten.

„Hier können wir ein herrliches Rasenstück für die Lerche ausschneiden! „ sagte der eine Knabe und begann ein Viereck einzuschneiden, so dass das Gänseblümchen mitten in dem Rasenstück stand.

„Reiß das Blümchen ab! „ sagte der andere Knabe, und das Gänseblümchen zitterte vor Angst, denn abgerissen zu werden hieße ja das Leben verlieren; und nun wollte es so gern leben, weil es mit dem Rasenstück zu der gefangenen Lerche in das Bauer sollte. „Nein, lass es stehen! „ sagte der andere Knabe, „es schmückt so hübsch! „ Und so blieb es stehen und kam mit in das Bauer zur Lerche.

Aber der arme Vogel klagte laut über seine verlorene Freiheit und schlug mit den Flügeln gegen den Eisendraht im Bauer. Das Gänseblümchen konnte nicht sprechen, kein tröstendes Wort sagen, so gern es auch wollte.

So verging der ganze Vormittag.

„Hier ist kein Wasser! „ sagte die gefangene Lerche. „Sie sind alle ausgegangen und haben vergessen, mir einen Tropfen zu trinken zu geben. Mein Hals ist trocken und brennt! Es ist wie Feuer und Frost in mir, und die Luft ist so schwer! Ach, ich muss sterben, scheiden vom warmen Sonnenschein, vom frischen Grün, von all der Herrlichkeit, die Gott geschaffen hat! „ Und dann bohrte sie ihren kleinen Schnabel in das kühle Rasenstück, um sich daran ein wenig zu erfrischen. Da fiel ihr Blick auf das Gänseblümchen, und der Vogel nickte ihm zu, küsste es mit dem Schnabel und sagte: „Du musst hier drinnen auch vertrocknen, du armes Blümchen! Dich und den kleinen Flecken mit grünem Gras hat man mir für die ganze Welt gegeben, die ich draußen hatte! Jeder kleine Grashalm soll mir ein grüner Baum, jedes deiner weißen Blätter eine duftende Blume sein! Ach, ihr erzählt mir nur, wie viel ich verloren habe! „

„Wer sie doch trösten könnte!“ dachte das Gänseblümchen, aber es konnte kein Blatt bewegen; doch der Duft, der den feinen Blättern entströmte, war viel stärker, als man ihn sonst bei diesen Blümchen findet. Das bemerkte der Vogel auch, und obwohl er vor Durst verschmachtete und in seinem Schmerz die grünen Grashalme abriss, rührte er doch das Blümchen nicht an.

Es wurde Abend, und noch kam niemand, der dem armen Vogel einen Wassertropfen brachte. Da streckte er seine hübschen Flügel aus und schüttelte sie krampfhaft, sein Gesang war ein wehmütiges Piep-piep, der kleine Kopf neigte sich dem Blümchen entgegen, und des Vogels Herz brach aus Mangel und Sehnsucht. Da konnte das Blümchen nicht wie am Abend vorher seine Blätter zusammenfalten und schlafen, es hing krank und traurig zur Erde nieder.

Erst am nächsten Morgen kamen die Knaben, und als sie den Vogel tot erblickten, weinten sie, weinten viele Tränen und gruben ihm ein niedliches Grab, das mit Blumenblättern geschmückt wurde. Die Leiche des Vogels kam in eine schöne rote Schachtel; königlich sollte er bestattet werden, der arme Vogel! Als er lebte und sang, vergaßen sie ihn, ließen ihn im Bauer sitzen und Mangel leiden; nun bekam er Schmuck und viele Tränen.

Aber das Rasenstück mit dem Gänseblümchen wurde in den Staub der Landstraße hinausgeworfen. Keiner dachte an das Gänseblümchen, das doch am meisten für den kleinen Vogel gefühlt hatte und das ihn so gern trösten wollte.

(Hans Christian Andersen)